Helden des Wandels
An der Zukunft arbeiten. Kunst und Wirtschaft zusammendenken. Wie geht das? Und wie schwer ist das? Das Innovationslabor Zentrifuge in Nürnberg gibt erste Antworten.
Text: Martin Beyer
Als Ronald Zehmeister 2010 zum ersten Mal mit der Zentrifuge in Berührung kommt, ist ihm sofort klar: „That’s it!“ Der Zukunftsforscher spürt, dass dieses Projekt seiner Zeit um einige Jahre voraus ist und neue Formen der Arbeit und des Lebens bereits erfahrbar sind. „Wo es woanders noch um Konzepte und Folienpräsentationen geht, wird hier vieles schon real gelebt; vieles wird intuitiv richtig gemacht, was man ansonsten nur in Lehrbüchern sieht.“
Die Zentrifuge hat sich von einem kleinen Verbund, der seit 2008 Kunstausstellungen in einer ehemaligen Fabrikhalle Auf AEG organisiert, längst zu einem Denk- und Innovationslabor entwickelt. Spricht man mit dem Kernteam der Zentrifuge, erhält man einen intensiven Einblick in den Maschinenraum der Kultur- und Kreativwirtschaft.
Das große UND zwischen Kunst, Kultur und Wirtschaft
Kultur- und Kreativwirtschaft, was ist das überhaupt für ein Begriffsmonster? Stark gemacht wurde der Begriff auf Initiative der Bundesregierung, er soll eine Lobbygruppe stärken, die von Lobbyarbeit bisher nicht viel gehalten hat. Gemeint sind die Künstler und Kreativen, die meistens allein oder in sehr kleinen Gruppen ihre Ziele verfolgen, denen es wirtschaftlich oft bescheiden geht, die – in 11 Teilsparten zusammengefasst – aber insgesamt mit 64 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung auf Rang drei der Großbranchen rangieren. Die Initiative erzielt Erfolge, gesamtgesellschaftlich konnte sie aber den tiefen Graben zwischen Kunst und Wirtschaft noch kaum verkleinern.
An diesem Punkt setzt die Zentrifuge an, die man als das große UND zwischen den Gegensätzen bezeichnen könnte. Nur: Ihre Macher leiden durchaus darunter, machen sie doch regelmäßig die Erfahrung, zwischen den Stühlen zu sitzen. Sobald sie sich stärker der Wirtschaft zuwenden, haben sie das Gefühl, den Kontakt zur lebendigen Kunstszene zu verlieren. Umgekehrt tun sich die Künstler schwer zu akzeptieren, dass eine „wirtschaftliche Denke“ kein Teufelszeug ist, sondern eine notwendige Professionalisierung bedeuten kann.
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Dieses Dilemma, dieses Hin-und-hergerissen-Sein ist aber zugleich die große Stärke des Projekts, auch wenn das paradox klingen mag. Beide „Lager“, die Kunst und die Wirtschaft, sind noch immer durch viele Vorurteile und Klischees voneinander getrennt. Andererseits setzt sich in Wirtschaftskreisen die Einsicht durch, dass es mit den alten Modellen, den alten Operationen und den alten Kennzahlen nicht mehr weitergeht. Wirtschaft und auch Politik scheitern daran, die großen gesellschaftlichen Veränderungen zu moderieren, ihnen fehlen die Narrative für den Wandel. Und woher sollen die neuen Ideen, die „Verrückung“ der Wahrnehmung, das freie Denken und das Experiment kommen wenn nicht aus der Kunst- und Kreativszene?
Der Philosoph Peter Sloterdijk hat jüngst in einem Interview die Philosophie vor eine Entscheidung gestellt: „Sie ist heute auf dem Punkt, entweder in eine akademische Posthistoire überzugehen, in der sie sich selbst überflüssig macht – oder sie muss sich ein Exil in den Künsten suchen. Die bildende Kunst ist ein großartiges Asyl für eine Philosophie, die sich auf diese Metamorphose einlässt.“
Könnte das nicht auch für die Wirtschaft gelten? Sie muss ja nicht gleich ins Exil gehen.
„Die Künste drücken praktisch und performativ etwas aus, was man ansonsten über ewig lange Abhandlungen ausdrücken müsste“, sagt Ronald Zehmeister. Er ist überzeugt: Auch in der Wirtschaft gibt es immer stärkere Tendenzen, von der Kunst zu lernen, von ihrer Intuition, von ihrem anderen Blick auf die Dinge. Es gibt also eine Nachfrage, aber bisher kaum ein Angebot bzw. niemanden, der es vermitteln konnte. Hier klingt das leidgeprüfte „Wir sind das UND zwischen den Gegensätzen“ der Zentrifuge plötzlich wie eine große Chance, den Begriff Kultur- und Kreativwirtschaft tatsächlich zum Leben zu erwecken. Der Rest ist eine Sache des Wording, des Marketing, und das bereitet den Zentrifuglern einige Schwierigkeiten. Wie sollen sie genau erklären, was sie da tun? Wie überwinden sie die Vorurteile und Klischees, wie schaffen sie Akzeptanz und Vertrauen? Es geht, wie sich zeigt, nur über den persönlichen Einsatz. Ständig. Die Zentrifugler müssen immer wieder die eigene Geschichte erzählen, über ihre Erfahrungen berichten, über ihre Erfolgserlebnisse, über die Orte, an denen sie wirken.
Ingenieure der Seele
Da gibt es zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Durchgängiges Engineering“ des Verbands Deutscher Ingenieure (VDI). Ist die Berufsbezeichnung des Ingenieurs nicht dazu geeignet, Kunst und Wirtschaft zu verbinden, fragt man sich in Nürnberg. Schriftsteller hat man früher die „Ingenieure der Seele“ genannt, der Ingenieur selbst wird, davon ist Zehmeister überzeugt, in wenigen Jahren immer mehr von einem Künstler haben, der nicht nur auf Fakten und Zahlen setzt, sondern vermehrt auch auf Kreativität und Intuition. Wie verändern sich also Lebens- und Arbeitswelten? Was heißt es in Zukunft, ein Ingenieur zu sein? Was macht einen Künstler aus? An solchen Fragen zu arbeiten, diese Fragen überhaupt zu stellen, genau das wollen die Macher der Zentrifuge leisten.
Im aktuellen Projekt „Forschende Kunst“ etwa geht es darum, die unterschiedlichen Wirklichkeiten von Künstlern, Ingenieuren und Projektmanagern erfahrbar zu machen und Verbindungen auszuloten, die nicht an der Oberfläche sichtbar sind. Ein offener, interdisziplinärer Ansatz, bei dem es alle Beteiligten anfangs aushalten müssen, nur wenige Orientierungspunkte zu haben.
Die Zentrifuge als Exportschlager?
Die Vertreter der Wirtschaft muss die Zentrifuge noch behutsam zu diesen Prozessen einladen, sie auf das Gelände locken mit Schnupperveranstaltungen, ihnen für eine Stunde den Kopf verrücken. Und ein solcher Kopfverrücker ist Ronald Zehmeister gerne. „Wir sagen: Begeben Sie sich für eine kurze Zeit in diesen Erfahrungsraum. Lassen Sie das wirken. Wenn es wertvoll war, können wir weiterarbeiten.“
Die von der Zentrifuge angestoßenen Prozesse hören dabei nicht an den Landesgrenzen auf: Alessandra Brisotto ist für Literatur und internationale Perspektiven zuständig. Sie hat viele Drähte nach Italien, mit Venedig gibt es erste Kooperationen. Für die Zukunft könnte sie sich die Zentrifuge gut als eine Art Nomadenprojekt vorstellen: „Unsere Erfahrungen und Kompetenzen und auch unser Engagement sind für eine Welt im Wandel sicherlich von großem Wert.“
Die Zentrifuge als Exportschlager? Bevor es soweit ist, muss erst der Wirtschafts- und Kulturraum in Deutschland erobert werden. Vereinsvorstand Michael Schels ist sich sicher: „Die ständige Herausforderung ist, authentisch zu bleiben, die Konzentration zu schärfen und die Achtsamkeit für das Wichtige aufrechtzuerhalten. Dann wirken die zentrifugalen Kräfte weiter.“
Text: Martin Beyer
Als Ronald Zehmeister 2010 zum ersten Mal mit der Zentrifuge in Berührung kommt, ist ihm sofort klar: „That’s it!“ Der Zukunftsforscher spürt, dass dieses Projekt seiner Zeit um einige Jahre voraus ist und neue Formen der Arbeit und des Lebens bereits erfahrbar sind. „Wo es woanders noch um Konzepte und Folienpräsentationen geht, wird hier vieles schon real gelebt; vieles wird intuitiv richtig gemacht, was man ansonsten nur in Lehrbüchern sieht.“
Die Zentrifuge hat sich von einem kleinen Verbund, der seit 2008 Kunstausstellungen in einer ehemaligen Fabrikhalle Auf AEG organisiert, längst zu einem Denk- und Innovationslabor entwickelt. Spricht man mit dem Kernteam der Zentrifuge, erhält man einen intensiven Einblick in den Maschinenraum der Kultur- und Kreativwirtschaft.
Das große UND zwischen Kunst, Kultur und Wirtschaft
Kultur- und Kreativwirtschaft, was ist das überhaupt für ein Begriffsmonster? Stark gemacht wurde der Begriff auf Initiative der Bundesregierung, er soll eine Lobbygruppe stärken, die von Lobbyarbeit bisher nicht viel gehalten hat. Gemeint sind die Künstler und Kreativen, die meistens allein oder in sehr kleinen Gruppen ihre Ziele verfolgen, denen es wirtschaftlich oft bescheiden geht, die – in 11 Teilsparten zusammengefasst – aber insgesamt mit 64 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung auf Rang drei der Großbranchen rangieren. Die Initiative erzielt Erfolge, gesamtgesellschaftlich konnte sie aber den tiefen Graben zwischen Kunst und Wirtschaft noch kaum verkleinern.
An diesem Punkt setzt die Zentrifuge an, die man als das große UND zwischen den Gegensätzen bezeichnen könnte. Nur: Ihre Macher leiden durchaus darunter, machen sie doch regelmäßig die Erfahrung, zwischen den Stühlen zu sitzen. Sobald sie sich stärker der Wirtschaft zuwenden, haben sie das Gefühl, den Kontakt zur lebendigen Kunstszene zu verlieren. Umgekehrt tun sich die Künstler schwer zu akzeptieren, dass eine „wirtschaftliche Denke“ kein Teufelszeug ist, sondern eine notwendige Professionalisierung bedeuten kann.
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Dieses Dilemma, dieses Hin-und-hergerissen-Sein ist aber zugleich die große Stärke des Projekts, auch wenn das paradox klingen mag. Beide „Lager“, die Kunst und die Wirtschaft, sind noch immer durch viele Vorurteile und Klischees voneinander getrennt. Andererseits setzt sich in Wirtschaftskreisen die Einsicht durch, dass es mit den alten Modellen, den alten Operationen und den alten Kennzahlen nicht mehr weitergeht. Wirtschaft und auch Politik scheitern daran, die großen gesellschaftlichen Veränderungen zu moderieren, ihnen fehlen die Narrative für den Wandel. Und woher sollen die neuen Ideen, die „Verrückung“ der Wahrnehmung, das freie Denken und das Experiment kommen wenn nicht aus der Kunst- und Kreativszene?
Der Philosoph Peter Sloterdijk hat jüngst in einem Interview die Philosophie vor eine Entscheidung gestellt: „Sie ist heute auf dem Punkt, entweder in eine akademische Posthistoire überzugehen, in der sie sich selbst überflüssig macht – oder sie muss sich ein Exil in den Künsten suchen. Die bildende Kunst ist ein großartiges Asyl für eine Philosophie, die sich auf diese Metamorphose einlässt.“
Könnte das nicht auch für die Wirtschaft gelten? Sie muss ja nicht gleich ins Exil gehen.
„Die Künste drücken praktisch und performativ etwas aus, was man ansonsten über ewig lange Abhandlungen ausdrücken müsste“, sagt Ronald Zehmeister. Er ist überzeugt: Auch in der Wirtschaft gibt es immer stärkere Tendenzen, von der Kunst zu lernen, von ihrer Intuition, von ihrem anderen Blick auf die Dinge. Es gibt also eine Nachfrage, aber bisher kaum ein Angebot bzw. niemanden, der es vermitteln konnte. Hier klingt das leidgeprüfte „Wir sind das UND zwischen den Gegensätzen“ der Zentrifuge plötzlich wie eine große Chance, den Begriff Kultur- und Kreativwirtschaft tatsächlich zum Leben zu erwecken. Der Rest ist eine Sache des Wording, des Marketing, und das bereitet den Zentrifuglern einige Schwierigkeiten. Wie sollen sie genau erklären, was sie da tun? Wie überwinden sie die Vorurteile und Klischees, wie schaffen sie Akzeptanz und Vertrauen? Es geht, wie sich zeigt, nur über den persönlichen Einsatz. Ständig. Die Zentrifugler müssen immer wieder die eigene Geschichte erzählen, über ihre Erfahrungen berichten, über ihre Erfolgserlebnisse, über die Orte, an denen sie wirken.
Ingenieure der Seele
Da gibt es zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Durchgängiges Engineering“ des Verbands Deutscher Ingenieure (VDI). Ist die Berufsbezeichnung des Ingenieurs nicht dazu geeignet, Kunst und Wirtschaft zu verbinden, fragt man sich in Nürnberg. Schriftsteller hat man früher die „Ingenieure der Seele“ genannt, der Ingenieur selbst wird, davon ist Zehmeister überzeugt, in wenigen Jahren immer mehr von einem Künstler haben, der nicht nur auf Fakten und Zahlen setzt, sondern vermehrt auch auf Kreativität und Intuition. Wie verändern sich also Lebens- und Arbeitswelten? Was heißt es in Zukunft, ein Ingenieur zu sein? Was macht einen Künstler aus? An solchen Fragen zu arbeiten, diese Fragen überhaupt zu stellen, genau das wollen die Macher der Zentrifuge leisten.
Im aktuellen Projekt „Forschende Kunst“ etwa geht es darum, die unterschiedlichen Wirklichkeiten von Künstlern, Ingenieuren und Projektmanagern erfahrbar zu machen und Verbindungen auszuloten, die nicht an der Oberfläche sichtbar sind. Ein offener, interdisziplinärer Ansatz, bei dem es alle Beteiligten anfangs aushalten müssen, nur wenige Orientierungspunkte zu haben.
Die Zentrifuge als Exportschlager?
Die Vertreter der Wirtschaft muss die Zentrifuge noch behutsam zu diesen Prozessen einladen, sie auf das Gelände locken mit Schnupperveranstaltungen, ihnen für eine Stunde den Kopf verrücken. Und ein solcher Kopfverrücker ist Ronald Zehmeister gerne. „Wir sagen: Begeben Sie sich für eine kurze Zeit in diesen Erfahrungsraum. Lassen Sie das wirken. Wenn es wertvoll war, können wir weiterarbeiten.“
Die von der Zentrifuge angestoßenen Prozesse hören dabei nicht an den Landesgrenzen auf: Alessandra Brisotto ist für Literatur und internationale Perspektiven zuständig. Sie hat viele Drähte nach Italien, mit Venedig gibt es erste Kooperationen. Für die Zukunft könnte sie sich die Zentrifuge gut als eine Art Nomadenprojekt vorstellen: „Unsere Erfahrungen und Kompetenzen und auch unser Engagement sind für eine Welt im Wandel sicherlich von großem Wert.“
Die Zentrifuge als Exportschlager? Bevor es soweit ist, muss erst der Wirtschafts- und Kulturraum in Deutschland erobert werden. Vereinsvorstand Michael Schels ist sich sicher: „Die ständige Herausforderung ist, authentisch zu bleiben, die Konzentration zu schärfen und die Achtsamkeit für das Wichtige aufrechtzuerhalten. Dann wirken die zentrifugalen Kräfte weiter.“